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Kreidezeichnungen

An einem Novembermorgen

in meinem Hinterhof

finde ich sie wieder,

die Kreidezeichnungen der Kinder,

die in ihren Köpfen

eine flirrende Landschaft entdecken,

um sie am nächsten Tag

auf den unterkühlten, grauen Trottoir zu malen.


Noch ist die Welt

nicht ganz verloren.


Es gibt euch noch:

ihr mit euren auf den Kopf gestellten Wünschen,

ihr mit euren verdrehten Ideen von Leben,

ihr mit euren Farben an den Fingern.

Noch hat euch niemand zum Stillstand bekehrt.

Noch steht der Fliegenpilz.

Noch könnt ihr wohnen

in grandiosen selbstgezimmerten Holzhütten

dort unten am Fluss,

ohne Überschwemmungen befürchten zu müssen.

Noch seid ihr eingerollt in eure Kokons.

Noch seid ihr zu Hause in den Schneckenhäusern.

Noch seid ihr so klein, dass euch niemand

euren Platz im Wurzelwerk streitig machen kann.


Aber die meisten von euch werden fallen.

Ich weiß es.

Nur wenige werden bleiben.

Die in irgendeiner Hosentasche ein zerknittertes Bild

bei sich tragen,

um sich immer wieder daran zu erinnern,

dass sie sich wandeln können,

ohne sich dabei aus den Augen zu verlieren.

Die werden bleiben.


Von Paul Blau 23.11.2018

Von Eva Hofmann

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